Brauchbare Illegalität

oder: Ask for forgiveness, not for permission!

Unternehmen stellen Regeln auf. Und insgeheim hoffen Führungskräfte, dass die Mitarbeiter wissen, wann sie diese Regeln brechen müssen. Sodass der Kunde doch noch zufrieden gestellt wird, wenn es schon nach Dienstschluss ist. Oder wenn Mitarbeiter im Sinne des Kunden den “kurzen Dienstweg” beschreiten, obwohl das die Berichtslinien eigentlich nicht gestatten. Diese paradoxen Erwartungen, die Führungskräfte nie offiziell aussprechen können, nennen Organisationswissenschaftler “brauchbare Illegalität.”

Ähnliche Konzepte sind zum Beispiel: Zivilcourage. Oder wie sie es bei der kalifornischen Designfirma IDEO nennen:

Ask for forgiveness, not for permission.
IDEO

Elmar illegal

Als Christine und ich mit Mitte zwanzig an der Fachhochschule arbeiteten, hab ich meine ersten Erfahrungen mit Regelbruch in Organisationen gemacht. Wir experimentierten damals mit neuen Lehrmethoden, haben theatral und erlebnisorientiert gearbeitet, das ganze Haus und die Außenbereiche bespielt und für eine Menge Aufruhr gesorgt. Herrlich!

Die Administration der Fachhochschule und andere Fachbereiche betrachteten das Treiben wenig wohlwollend. So hatte man sich die Lehre nicht vorgestellt. Das Klima wandte sich gegen uns. Unsere Freiheiten wurden Stück für Stück zurückgenommen, immer mehr als illegal definiert. Viele tolle Kollegen verließen das Haus und wir beschlossen, uns ganz auf Rudl und Schwarm zu konzentrieren.

Vieles von dem, was wir an der Fachhochschule getan haben, war sehr brauchbar und ist jetzt noch ein geschätzter Teil der Arbeitsweise von Rudl und Schwarm. Manches nicht. Daher beschäftigen mich seither die Fragen: Wie lässt sich brauchbare Illegalität in einer Organisation aufspüren? Und wie kann eine Organisation entscheiden, was wirklich brauchbar ist und was nicht? Und dann: Wie können wir unbrauchbare Regeln abschaffen und so brauchbares Verhalten legalisieren?

IDEO

Wie die Suche nach brauchbarer Illegalität organisiert werden kann und wie man dann wieder zu brauchbaren Regeln kommt, dafür haben wir bei IDEO einige interessante Antworten gefunden. IDEO ist eine der berühmtesten internationalen Designfirmen. Dort wurde die erste Computermaus von Apple designt. Heute werden bei IDEO nicht nur Produkte, sondern auch Organisationen oder ganze Systeme wie das kalifornische Wahlsystem oder das peruanische Bildungssystem gestaltet.

Annette Diefenthaler empfängt Christine und mich im Designstudio von IDEO in San Francisco. Sie hat hier, als Leiterin des Themas Education, ihren Traumjob gefunden. Annette führt uns durch das sehr coole Designstudio am Pier 58. Riesige Fenster zur Bay hin öffnen den Raum, Tische sind wie im Coffeeshop angeordnet, da dies eine Arbeitsatmosphäre erzeugt, die hier alle schätzen. Alles ist sehr offen, hell und flexibel.

Design Thinking für die Mitarbeiter

Anstatt einer einschränkenden Administration gibt es bei IDEO ein Experience-Team, dass sich Gedanken macht, wie das Erlebnis der Mitarbeiter und Kunden besser gestaltet werden kann. Dabei geht das Team nach einer Methode vor, die von IDEO entwickelt wurde: Design Thinking. Zuerst wird das Verhalten der Nutzer — also der Mitarbeiter — genau studiert. Wenn das Team eine klare Sichtweise auf das Problem hat, werden brauchbare Lösungen in vielen Prototypenstadien weiterentwickelt.

Die Kollegin am Check-in ist selten an ihrem Platz? In anderen Unternehmen würde sie ermahnt werden. Hier wird sie gefragt, was sie stört: Sie will auch im Team arbeiten, wie alle hier und nicht nur Essensbestellungen in Empfang nehmen. Also wird das Check-in automatisiert und sie kann einen großen Teil ihrer Zeit in einem Team mitarbeiten. Meetingräume haben nicht festgeschraubte Tische, sondern werden auf den Zweck des jeweiligen Treffens angepasst. Das geht so weit, dass der Meetingraum schnell gelb gestrichen wird, wenn die Hauptfarbe bei einem Designprojekt gelb ist. Selbst die Snacks kommen in gelb. Oft erlebe ich Büros, in denen die Mitarbeiter unter der Hand viele Provisorien erfinden, um den Platz für ihre Bedürfnisse anzupassen und menschlicher zu machen. So als müssten sie gegen den Willen des Office-Innenarchitekten ankämpfen. Die Arbeitskojen der Teams bei IDEO hingegen werden ganz bewusst durch die Teams selbst gestaltet.

In der Mitte des Office gibt es einen großen Raum, in dem alle Servicefunktionen und Zentralbereiche angesiedelt sind. Jeder braucht IT-Unterstützung. In der Regel verbannen Office-Gestalter die IT in einen Raum fern der operativen Bereiche, wo ITler isoliert vom Unternehmen ihre Tickets bearbeiten. Nur wer unter der Hand gute persönliche Kontakte in die IT hat, kommt schneller dran. Bei IDEO hat man sie in die Mitte des Unternehmens geholt und den guten Kontakt zur Regel für alle erhoben. Wenn eine Kollegin ein technisches Problem in einem Online-Meeting hat, bringt sie ihren Laptop zum zentralen Tisch der IT und bekommt ihr Problem gelöst, ohne das Meeting überhaupt unterbrechen zu müssen.

Intelligenz statt Sanktionen

Manchmal wendet das Experience-Team dabei auch Tricks an, um Regeln sanft durchzusetzen: Viele Mitarbeiter kommen in San Francisco mit dem Fahrrad zur Arbeit und lehnen dieses dann im Gang an die Wand, anstatt es an einem extra entwickelten Seilzug von der Decke baumeln zu lassen. Wie reagiert das Experience Team darauf? Sie stellen einfach die Schließfächer der Mitarbeiter an diese Wand. Da niemand die Schließfächer der anderen mit seinem Rad blockieren will, fliegen die Räder auf einmal fast von alleine zur Decke. Ein bisschen wie Magie. Oder Bauernschläue. Jedenfalls ohne Ermahnungen und Sanktionen. Das ist Design Thinking, wenn es auf Organisationen angewandt wird.

Manchmal wendet das Experience-Team dabei auch Tricks an, um Regeln sanft durchzusetzen: Viele Mitarbeiter kommen in San Francisco mit dem Fahrrad zur Arbeit und lehnen dieses dann im Gang an die Wand, anstatt es an einem extra entwickelten Seilzug von der Decke baumeln zu lassen. Wie reagiert das Experience Team darauf? Sie stellen einfach die Schließfächer der Mitarbeiter an diese Wand. Da niemand die Schließfächer der anderen mit seinem Rad blockieren will, fliegen die Räder auf einmal fast von alleine zur Decke. Ein bisschen wie Magie. Oder Bauernschläue. Jedenfalls ohne Ermahnungen und Sanktionen. Das ist Design Thinking, wenn es auf Organisationen angewandt wird.

Was aber passiert bei Regelbrüchen?

Annette bringt das Beispiel von einem Mitarbeiter, der in Eigenregie das WC neu bemalt hat, denn der unbedingte Wille zur Gestaltung ist bei IDEO allgegenwärtig. Das gefiel den anderen nicht. Also musste er alles wieder rückgängig machen und neu ausmalen. Ganz im Sinne von: Ask for forgiveness, not for permission. Das wars. Keine Verwarnungen, keine Schelte vom Chef, keine soziale Ächtung. Hat was probiert, hat keinen Anklang gefunden. Nächster Versuch.

Nach dieser Entspanntheit im Umgang mit unerwünschtem Regelbruch habe mich mich an der FH oft gesehnt. Und auch dann als Selbständiger: Der größte Kritiker und Polizist war ich mir oft selbst. Sich selbst die Erlaubnis zu geben, etwas zu riskieren, Neues zu wagen, ist nicht immer einfach. In einem kulturellen Rahmen wie dem von IDEO, der einen auffängt und hält, fällt das mitunter leichter.

Und jetzt?

Wie ich brauchbare Illegalität erkenne und dann besser brauchbare Regeln schaffe? Eine spannende Frage für alle, die hinter den Vorhang von Organisationen schauen wollen. Was sicher hilft, sind Selbsterkenntnis, ein wenig Mut und ein paar praktische Methoden.

Wenn du darüber ins Gespräch kommen willst, sei herzlich eingeladen und schreib uns ein E-Mail.

Komm ins Rudl! Flieg mit im Schwarm!