Bei komplexen Herausforderungen locker bleiben

"Als wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen." Bekannte Strategie? Leider nicht sehr nützlich. Doch es gibt einen Weg, um mit komplexen Situationen kreativ und wirksam umzugehen: gemeinsam Hypothesen bilden.

Wenn es komplex wird

In jedem komplexen Vorhaben kommt früher oder später der Punkt, wo es haarig wird. Warum werden wir bei der Umsetzung unserer Strategie immer wieder von plötzlich auftauchenden Problemen im operativen Geschäft unterbrochen, die dann alle Energie binden? Wie kommen wir aus diesem Trouble-Shooting-Modus raus? Wie können wir unseren Strategiepfad kontinuierlicher verfolgen?

Aber nicht nur Probleme können eine gute Gelegenheit zum Hypothesenbilden sein. Wenn du zum Beispiel mit einem sehr engagierten Team an einer Aufgabenstellung dran bist, kann es eure Kreativität und euren Weitblick enorm steigern, zuerst mal Hypothesen zu bilden, bevor ihr euch an die Umsetzung macht.

Das Programm läuft ab mit mir

Es gibt unterschiedliche Varianten wie Führungskräfte auf überwältigende Herausforderungen reagieren. Zum Beispiel durch Leistungsdruck: Härter arbeiten, um in Vorleistung zu gehen und die Unsicherheit von unklaren strategischen Situationen wegzukriegen. Lauter schreien, um der eigenen Sichtweise Gehör zu verschaffen. Wegentscheiden von Problemen. Resignieren.

Bevor wir jetzt aber gemeinsam verzweifeln (ich beim Schreiben und du beim Lesen dieses Artikels), schauen wir uns an, wie man da rauskommt.

Und jetzt?

Komplexe Herausforderungen haben eine interessante Eigenschaft. Sie stellen sich immer anders dar, je nachdem, wen man fragt. Die eine Kollegin erlebt das Problem so wie du, eine zweite findet es viel schlimmer, ein dritter nimmt es gar nicht wahr. Ein vierter sagt: das kenn ich aus meinem letzten Job. Ein fünfter sagt das ist schon lange so, nur dass es früher eine Lösung war, und jetzt offenbar ein Problem.

Wenn du also das Gefühl hast, dass du Inspiration brauchst, ist es sehr hilfreich neue Perspektiven reinzuholen. Wer sieht es wie? Wer nimmt was wahr? Neue Sichtweisen und Informationen können wieder Bewegung in dein Denken bringen.

Du findest, das ist eine ziemlich simple Idee? Das ist es auch. Aber wie selten macht das jemand? Denn um sich mit anderen auszutauschen, muss ich erst vor mir selbst und dann vor anderen eingestehen, dass ich feststecke. Wir sind überzeugt : die größte Blockade für echte Kooperation ist Scham. Oder anders gesagt: die Angst vor Statusverlust. Wie schön wäre es, wenn alle sehen, wie ich als großer Held, als einsamer Wolf im Alleingang die Firma gerettet hab! (Wenn du dann im Burn-out bist, interessiert diese Großtat allerdings keinen mehr.)

Unterschiedliche Perspektiven helfen, um neue Informationen, Beobachtungen und Sichtweisen auf die Herausforderung zu bekommen. Dazu ist es hilfreich nicht mit den Leuten zu sprechen, mit denen du ohnedies immer im Austausch bist. Besser mal die Hierarchie hinauf und hinunterschauen, oder in andere Abteilungen, vielleicht bei Partnerunternehmen, beim Kunden… oder lass dich von externen Organisationsberatern unterstützen, die von den internen Interessengegensätzen unbelastet Informationen einholen können (z.B. von uns).

Verführungen

Nun gibt es hier zwei große Verführungen:

  1. Paralyse durch Analyse. Das ist, wenn du erst alles alles recherchiert und analysiert haben musst, bevor du etwas Neues erprobst.
  2. Voreilig vom Problem zur ersten sich anbietenden Lösung zu springen und diese bis ins kleinste Detail auszuarbeiten. Dagegen hilft der zentrale Schritt dieses Artikels: Das Hypothesen bilden.

Was sind Hypothesen?

Hypothesen stehen zwischen der Informationssammlung und dem Erarbeiten von Interventionen. Hypothesen sind Annahmen über oft verborgene Handlungsmuster. Diese Muster entstehen zwischen Akteuren in deiner Organisation, wenn sie auf widersprüchliche, unvorhersehbare Anforderungen reagieren – oft mit den besten Absichten und dennoch ungewollten Nebenwirkungen.

Wie zum Beispiel: Da ist die heldenhafte Projektmanagerin, die jeden verfahrenen Karren aus dem Dreck zieht und damit den Blick darauf verstellt, wie der Karren immer wieder in den Dreck hineingerät. Da sind die Ingenieure, die ein Produkt ihrem Ethos folgend bis zur Perfektion konstruieren, ohne in der Produktion nachzufragen, ob das überhaupt kostengünstig herstellbar ist. Oder Pflegepersonal, dass in stillschweigendem gegenseitigem Einverständnis Qualitätsdokumente nachlässig ausfüllt, um bei all den Dokumentationspflichten noch Zeit für die Pflege zu haben.

Hypothesen geben dir eine Pause, um in Ruhe nach unterschiedlichsten Erklärungsmodellen dafür zu suchen, wie die unterschiedlichen Mitspieler in deiner Organisation (dich eingeschlossen) daran mitwirken, die Situation zu erzeugen, die du gerne ändern willst. Welche Rahmenbedingungen, eingebildete und echte Zwänge, formelle und informelle Regeln, Gebräuche, Glaubenssätze, Einstellungen und Motivationen sind da im Spiel, um diese Muster zu erzeugen, die deine Organisation zurückhalten?

Ein kreativer Akt

Hypothesen bilden ist ein unglaublich kreativer Prozess. Es macht Spaß, gibt Energie! Im Prinzip geht es darum, dass du möglichst viele Modelle der Situation kreierst. Dass du auf möglichst vielfältige Arten erklärst, wie ein Problem entsteht, welchen Sinn es für die Beteiligten hat und was es bewirkt.

Hypothesen bilden läuft gut in einer diversen Gruppe. Und Hypothesen bilden ist ein Prozess, den du lernen musst. Gute Hypothesen basieren auf einer soliden Informationssammlung, gewinnen Qualität im mehrmaligen Überarbeiten und brauchen viel Erfahrung und Wissen darüber, wie Organisationen funktionieren… oder manchmal eben auch nicht so funktionieren, wie sie sollen. Darum empfehlen wir bei besonders großen besonders komplexen Herausforderungen, dass du dich von Organisationsberaterinnen begleiten lässt.

Wie geht es weiter?

Um auch hier der Paralyse durch Analyse zu entgehen, entscheidet ihr, welche Hypothesen am wirkungsvollsten sind und überlegt euch Interventionen, nächste Schritte oder Experimente, um diese Hypothesen zu testen. Diese Experimente werden wiederum beobachtet, neue Informationen generiert, die Hypothesen angepasst, und die Experimente weitergetrieben, neue gestartet usw. Ein iterativer Prozess, in dem ihr die Organisation Schritt für Schritt aus der herausfordernden Situation führt.

Das Arbeiten mit Hypothesen entlastet dich vom Leistungsdruck und Stress, alles alleine schaffen zu müssen. Es hilft dir, aus dem stillen Kämmerlein zu kommen. Anstatt fertige Lösungen zu präsentieren, beginnst du schon die Fragen zu Beginn mit anderen gemeinsam zu erforschen. Gemeinsames Bilden von Hypothesen ist der Königsweg, um in kreative Kollaboration mit anderen zu kommen und komplexen Herausforderungen gemeinsam zu lösen.

Wie du mit einem Team von Kolleginnen komplexe Führungsherausforderungen meisterst, zeigen wir dir mit unserer Methode der “kollegialen Beratung”. Gerne begleiten auch wir dich beim Erforschen komplexer Herausforderungen.

Schreibt uns, was dich und deine Organisation bewegt:

Komm ins Rudl! Flieg mit im Schwarm!